Kinderschutz: Hinschauen, nicht wegsehen!

Der LSB Berlin forciert seine Anstrengungen beim Dauerthema sexualisierte Gewalt und Missbrauch gegenüber Kindern und Jugendlichen.

Viele Vereine und Verbände im LSB Berlin haben die Handlungsempfehlungen umgesetzt. Foto: picture-alliance
Viele Vereine und Verbände im LSB Berlin haben die Handlungsempfehlungen umgesetzt. Foto: picture-alliance

Vor gut einem Jahr ist der Landessportbund Berlin in Kooperation mit dem Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) mit einer Kinderschutzerklärung an die Öffentlichkeit getreten, die Stellung bezog zu den damals aktuellen Fällen von sexualisierter Gewalt und Missbrauch gegenüber Kindern und Jugendlichen und sich zur Verantwortung des organisierten Sports für das Wohlergehen junger Menschen bekannte. Es ging um das Vertrauen von Kindern gegenüber Trainern und Übungsleitern, um das Vertrauen von Eltern, die ihre Töchter und Söhne in den Vereinen gut aufgehoben und betreut glauben. Nun hat der LSB Zwischenbilanz gezogen.

Wie sind die Handlungsempfehlungen umgesetzt worden, wie war die Resonanz auf die Erklärung, wie viele Verbände, Vereine und Organisationen haben sich mit ihrer Unterschrift angeschlossen, ist das Thema Kinderschutz tatsächlich integraler Bestandteil von Fort- und Weiterbildungen geworden, haben die angedachten praxisorientierten Seminare stattgefunden? LSB-Präsident Klaus Böger resümierte: "Das Ziel vor einem Jahr war es, den Kinderschutz in unserem Bereich auf eine neue, breitere Grundlage zu stellen. Wir haben seitdem engagiert weitergearbeitet und positive Ergebnisse erreicht. Aber um es klar zu sagen: wir sind noch längst nicht am Ziel."

Das sei ein Dauerthema, eine Lebensaufgabe für den Sport, sagte Böger. "Wer hier sagt, das ist abgeschlossen, der hat schon verloren." Sexualisierte Gewalt und Missbrauch seien gesellschaftliche Phänomene, die sich durch viele Lebensbereiche ziehen und auch vor dem Sport nicht halt machten. Absolute Sicherheit gebe es nicht – gerade deshalb seien die Sensibilisierung und der offene Umgang mit dem Thema statt falsch verstandene Kameraderie und Verschweigen so wichtig.

Lebensaufgabe für den Sport

In Sachen Kinderschutz sei eine ganz klare Linie vorgegeben. "Diese Linie folgt dem Grundsatz Null Toleranz und hat das Motto: Hinschauen, nicht wegsehen!" In diesem Kontext war bereits in der Erklärung vom April 2010 formuliert worden, dass in sensiblen Bereichen wie Jugend- und Sportreisen oder Ferienfreizeiten von den verantwortlichen Übungsleitern die Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses verlangt wird. "Das ist kein Misstrauensvotum, sondern schlicht die Basis, die im Interesse von Kindern und Eltern für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nötig ist", erklärte Böger.

Inzwischen seien eine Reihe von Publikationen zum Thema erschienen, "Regularien entwickelt worden, die Antennen für das Problem öffnen, Hilfestellungen anbieten und einen Leitfaden liefern, wie man in konkreten Fällen handeln sollte".

Fast alle große Berliner Sportvereine, von denen viele wie Alba, Füchse, BHC, Hertha, Eisbären, SCC Erstunterzeichner waren, haben sich längst per Unterschrift angeschlossen. Ständig werden es mehr, ganze Sportverbände, einzelne Vereine. Von den 81 Verbänden haben sich inzwischen 16 zur Kinderschutzerklärung per Selbstverpflichtung bekannt, bei den Vereinen über 100. Da sei noch Luft nach oben, immerhin habe der LSB rund 2.000 Vereine in seinen Reihen.

"Die Zahl der engagierten Sportvereine und Sportverbände muss noch deutlich zunehmen. Wir brauchen noch mehr Mitwirkende, denn Kinderschutz im Sport geht uns alle an", wirbt Berlins "erster Sportler". "Mal gibt es welche, die meinen, im Sport gibt es so was nicht, also brauchen war das nicht. Und andere stoßen sich am Führungszeugnis. Die Wichtigkeit des Themas macht jede Überzeugungsarbeit sinnvoll", sagt Klaus Böger. Denn über den Berliner Sport werden 160.000 Kinder und Jugendliche erreicht, rund 50 Prozent der Hauptstädter in dieser Altersgruppe.

Sportstaatssekretär Thomas Härtel, zugleich auch Vorsitzender der Landeskommission Berlin gegen Gewalt und in dieser Funktion von Böger ausdrücklich für seine Unterstützung gelobt, nannte den Berliner Sport mit seiner Haltung zum Kinderschutz einen "Leuchtturm" und ein Beispiel, mit dem der LSB im deutschen Sport insgesamt an der Spitze stehe.

"Sechs Gebote" für Vereine

Schon 2005 hatte sich die Sportjugend Berlin mit dem Thema beschäftigt, erste Leitlinien zum Kinderschutz verabschiedet und seither im eigenen Organisationsbereich von allen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern die Vorlage von polizeilichen Führungszeugnissen verlangt. Die sechs Punkte, die die Sportjugend auf einem aktuellen Flyer aufführt, sind eine kurzgefasste, griffige Handlungsanleitung: "Verantwortung übernehmen! Kinderschutzerklärung unterzeichnen! Kinderschutzbeauftragte benennen! Fortbildungen besuchen! Polizeiliche Führungszeugnisse einholen! Hinschauen, nicht wegsehen!" Immer mehr Berliner Vereine folgen diesen "sechs Geboten" - aus Überzeugung und mit Sinn für Verantwortung.

LSB-Präsident Klaus Böger nennt es ein Ziel der Aktivitäten zum Kinderschutz, Mitarbeiter im Sport „dafür zu sensibilisieren, Gefährdungspotenziale ernst zu nehmen, Anzeichen sexueller Übergriffe zu erkennen und für den Verdachtsfall gewappnet zu sein“. Das anspruchsvolle Vorhaben: „Wir möchten einen möglichst flächendeckenden Schutzschirm für Kinder und Jugendliche im Sport aufspannen.“ Der Kinderschutz müsse ein Qualitätsmerkmal des Kinder- und Jugendsports in Berlin werden.

Ein Schritt dazu war zweifellos auch der Start der Internetseite www.kinderschutz-im-sport-berlin.de im Dezember 2010, auf der man umfassend über das Thema informiert wird und alle Termine für Veranstaltungen, Seminare und Fortbildungen findet, die in Verantwortung des LSB und in Kooperation mit dem Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk stattfinden.

Für 2011 sind nach 11 Veranstaltungen 2010 weitere 20 Tagungen und Seminare geplant. Dass durchaus eine große Nachfrage zum Thema besteht, verdeutlichte die von EJF und Sportjugend Berlin gemeinsame organisierte Fachtagung "Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen – Prävention und Intervention im Sport" am 16. Dezember 2010, an der 120 Aktive aus den verschiedenen Berliner Sportvereinen teilnahmen.

(Autor: Klaus Weise)


  • Viele Vereine und Verbände im LSB Berlin haben die Handlungsempfehlungen umgesetzt. Foto: picture-alliance
    Viele Vereine und Verbände im LSB Berlin haben die Handlungsempfehlungen umgesetzt. Foto: picture-alliance