München 2022: Christian Ude widerspricht den Kritikern

Christian Ude, Münchner Oberbürgermeister, ist leidenschaftlicher Befürworter einer Bewerbung seiner Stadt um die Olympischen Winterspiele 2022. Er widerspricht den Argumenten der Kritiker.

Christian Ude widerspricht den Kritikern, die einen Rückzug aus dem Olympischen Austragungswettbewerb propagieren. Foto: picture-alliance
Christian Ude widerspricht den Kritikern, die einen Rückzug aus dem Olympischen Austragungswettbewerb propagieren. Foto: picture-alliance

"Welche Alternative bieten die Bewerbungsgegner? Weil sich am nachhaltigen Konzept für die Münchner Olympiabewerbung 2022 keine überzeugende Kritik üben lässt, versuchen es die Bewerbungsgegner neuerdings mit Fundamental-Opposition: Olympia sei schädlich, dulde autoritäre Regime, beispielsweise die Unterdrückung von Schwulen in Putins Russland und Menschenrechtsverletzungen durch Chinas Kommunisten und verlange überdies gigantische Baumaßnahmen, die erst das Volk ausplündern und dann als Planungsruinen nutzlos herumstehen. Dagegen zu sein, zeichne den wahrhaft guten Menschen aus.

Ist es wirklich so einfach? Mehr noch: Ist an diesem Ratschlag, in allen Ländern mit Bürgerbeteiligung „Nein zu Olympia“ zu sagen, überhaupt etwas dran? Gerade die älteren Münchner wissen es besser. Olympia 1972 in der bayerischen Landeshauptstadt hat einen überfälligen Investitionsschub ausgelöst oder zumindest beschleunigt und vor allem uns Deutsche gut 20 Jahre nach Kriegsende (die Entscheidung fiel ja bereits 1966) wieder in den Kreis der Völkerfamilie aufgenommen, sogar als Gastgeber der Jugend der Welt. Wohlgemerkt: Dies war eine Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees, für die wir heute noch dankbar sind. Und der Olympiapark konnte jahrzehntelang als eine der meist beachteten Sportstätten der Republik genutzt werden, er könnte im Falle einer erfolgreichen Bewerbung sogar präzise ein halbes Jahrhundert nach 1972 wieder die Eröffnung Olympischer Spiele und Olympische Wettbewerbe erleben. So viel Nachhaltigkeit gab es noch nie.

Was soll da der Unfug, dass das Internationale Olympische Komitee, also ein Sportveranstalter, verantwortlich für alles Unrecht auf diesem Globus sei, so dass sich aufrechte Demokraten aus diesem Treiben zurückziehen müssten? Ach ja? Wie soll denn bitte ein Sportveranstalter die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Weltmacht China in unserem Sinn verändern, wenn dies bekanntlich nicht einmal die Vereinten Nationen vermögen? Warum soll das IOC Putins Russland verbannen, während alle großen Industrienationen einschließlich der Bundesrepublik ihm den Hof machen und bei G 20-Treffen zu Rate ziehen? Werden da die Erwartungen an einen Sportveranstalter nicht maßlos überspannt?

Und was soll der Hinweis, nicht jedes Mitglied des IOC entspreche allen Anforderungen politischer Korrektheit hierzulande? Tatsächlich gibt es da auch Repräsentanten feudaler Gesellschaften. In den Vereinten Nationen etwa nicht? Hätte Deutschland etwa die Europäische Union meiden müssen, als Silvio Berlusconi dort jahrelang das große Wort führte? Ist es nicht so, dass die großen moralischen Sittenrichter über das IOC klaglos zu allen Kompromissen der internationalen Politik schweigen und ihr schlechtes Gewissen beim IOC abladen, das – wohlgemerkt als Sportveranstalter! - angeblich mit einem Fingerschnippen die reale Welt in eine gute Welt verwandeln könnte?

Wenn Auswirkungen auf internationale Verhältnisse erörtert werden, erscheint mir ein anderer Gesichtspunkt viel gravierender und zukunftsweisender zu sein: Auf keinem Gebiet außer im Sport ist es gelungen, sämtliche Nationen und Völker dieser Welt für ein Ideal und ein Regelwerk zu gewinnen, das unter begeisterter Anteilnahme von Milliarden Menschen tatsächlich weltweit akzeptiert und praktiziert wird – ein vitaler Impuls für Völkerverständigung und Völkerfreundschaft. Die Politik hat dies bislang nicht vermocht, denn viele UN-Mitglieder sind Diktaturen oder gar Folterstaaten, wie ein Blick in die Jahresberichte von amnesty international zeigt. Die Religionen haben es übrigens auch nicht vermocht, denn manche lassen sich für Bürgerkriege und Terroranschläge missbrauchen. Von der Wirtschaft ganz zu schweigen, deren Globalisierung nicht nur Gewinner, sondern auch ausgebeutete Völker und Landstriche als Verlierer kennt. Das ist doch die zentrale Frage: Können wir es uns in einer solchen Welt tatsächlich leisten, die Olympische Idee mit ihrer antiken Herkunft und ihrer umfassenden Wirkung für einige Jahrzehnte aus dem Europa der Bürgerbeteiligung zu verbannen?

Was wäre denn die Folge? Wenn Länder mit ausgeprägter Bürgerbeteiligung zu einem NEIN animiert werden, bleiben im Erfolgsfall ja nur autoritäre Regime als Austragungsort übrig, damit aber auch als Alleinerbe und Alleinrepräsentant der Olympischen Spiele mit ihrer suggestiven Kraft von Milliarden Menschen – ein grandioses Eigentor besonders sensibler und besonders kritischer Demokraten!

Und wenn so nachhaltige Bewerbungen wie die Münchner, bei der 84 % der benötigten Flächen bereits mit der entsprechenden Nutzung vorhanden sind, aus dem Verkehr gezogen werden, dann stehen doch tatsächlich nur noch Konzepte zur Wahl, die schwere Eingriffe in die Natur und unvertretbaren Gigantismus enthalten. Toller Erfolg! Dabei haben uns die Naturschützer doch immer – und mit vollem Recht! - vor Augen geführt, dass wir nur eine Welt haben und diese überall schützen müssen.

Letzte Frage: Wieso spielt bei den Gegnern keine Rolle, dass auf die Olympischen Spiele die Paralympics folgen, die wie kein anderes internationales Großereignis mit weltweiter Wirkung Menschen mit Behinderungen in den Mittelpunkt und in den Vordergrund rücken und gerade in den Austragungsländern auf spektakuläre Weise den Weg zur Inklusion ebnen.

Kein Thema für Moralisten? Wer am kommenden Sonntag abstimmungsberechtigt ist, also in München, in Garmisch-Partenkirchen, im Berchtesgadener Land oder im Landkreis Traunstein lebt, sollte sich für die Olympische Idee und ihre Chancen, für das nachhaltigste Konzept und gegen Gigantomanie entscheiden – und gegen ein Monopol autoritärer Regime als Austragungsort künftiger Spiele. Also Pro Olympia."

(Autor: Christian Ude, Oberbürgermeister der Stadt München)


  • Christian Ude widerspricht den Kritikern, die einen Rückzug aus dem Olympischen Austragungswettbewerb propagieren. Foto: picture-alliance
    Christian Ude widerspricht den Kritikern, die einen Rückzug aus dem Olympischen Austragungswettbewerb propagieren. Foto: picture-alliance