Norddeutschland mit den meisten Kindern und Jugendlichen

Im „Sportentwicklungsbericht 2005/2006. Analyse zur Situation der Sportvereine in Deutschland“ ist ein eigenes Kapitel dem Problemfeld „Kinder- und Jugendsport in Sportvereinen“ gewidmet.

In diesem Kapitel ist dieser wichtige Aufgabenbereich im Vereinssport zum Teil unter anderen Fragestellungen untersucht worden als im "Ersten und Zweiten Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht" von Prof. Dr. Werner Schmidt (Universität Duisburg-Essen). Dabei ist vom Kölner Sportsoziologen Prof. Dr. Christoph Breuer und seiner Mitarbeiterin Pamela Wicker im Kapitel 2.10 des Berichtes anhand von statistischen Erhebungen untersucht worden, welche Bedeutung dem Kinder-und Jugendsport überhaupt in den deutschen Sportvereinen zukommt.

Die Breuerschen Untersuchungen kommen in vielen Bereichen zu interessanten Ergebnissen für die dabei festgestellten Daten, die vor allem für die zum Teil erheblichen regionalen Unter-schiede künftig gezielte Aktivitäten in der Sportentwicklung erforderlich erscheinen lassen. So scheint es zwar - oberflächlich betrachtet -zunächst eine sehr hohe Zahl zu sein, dass 91% der Sportvereine in Deutschland Kinder und Jugendliche als Mitglieder betreuen. Auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch, dass fast jeder zehnte Verein nur Erwachsene zu seinen Mitgliedern zählt und das in einer Zeit, in der es keine Sportart gibt, die nicht über jugendgemäße Aktivitäten und Wettkämpfe verfügt und in der der Bewegungsmangel für Kinder und Jugendliche ein immer stärker werdendes Problem in unserer Gesellschaft darstellt.

Ebenso gravierend ist, dass nach dem Untersuchungsergebnissen, die auf den Angaben der Vereine beruhen, fast 60% der Vereine über keine Jugendvertretung im Gesamtvorstand des Vereins verfügen. Auch die Tatsache, dass es deutschlandweit z. T. erhebliche Unterschiede beim sog. Organisationsgrad der Kinder und Jugendlichen innerhalb der Vereinsmitgliedschaften gibt, muss zu weiteren Untersuchungen und entsprechenden Konsequenzen in der Förderung der sportlichen Jugendarbeit führen.

Im Hinblick auf Beteiligungsmöglichkeiten und Ämter für Jugendliche an der Vereinsbasis zeigt der Bericht - so die Verfasser wörtlich - auf, „dass diesbezüglich noch ein erheblicher Nachholbedarf in den Sportvereinen besteht. Lediglich 41,4% der Vereine verfügen über eine/n Jugendvertreter/in bzw. Jugendwart/in im Gesamtvorstand. … In nur 29% besitzen die Jugendlichen ein Stimmrecht in der Hauptversammlung“ - und nur 16,7% der Vereine verfügen über einen eigenen Jugendausschuss bzw. Jugendvorstand.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Deutsche Sportjugend bereits seit mehr als vier Jahrzehnten eine stärkere Mitbestimmung und Mitverantwortung der Jugend im Sport fordert und entsprechende Modelle erarbeitet hat, also „die Treppe von oben gekehrt hat“, und dass dieses in den Sportjugenden der Landessportbünde ein wichtiges Aufgabengebiet ist, ist dies ein beunruhigendes, wenn nicht erschreckendes Ergebnis. Breuer/Wicker kommen zu dem Ergebnis:

„In allen Bundesländern außer Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt hat über die Hälfte der Vereine einen Jugendleiter, was als positiv zu bewerten ist. Das Vorhandensein eines Jugendleiters deutet auf eine besondere Bedeutung der Kinder und Jugendlichen im Verein hin, da sich dieser verstärkt um die Organisation des Kinder- und Jugendsports kümmert. Der Anteil der Sportvereine, die über einen Jugendleiter verfügen, reicht von 40,8 (Sachsen) bis hin zu 67,1% (Saarland). Gleichwohl gibt es immer noch einen gewissen Anteil an Sportvereinen, die das Amt eines Jugendleiters noch nicht eingerichtet haben. In diesen Vereinen gilt es zu prüfen, aus welchen Gründen von einem Jugendleiter abgesehen oder auch warum kein Jugendleiter benötigt wird.“

Bezüglich der Beteiligungsmöglichkeiten und Ämter für Jugendliche im Verein wurden auf Bundesebene insgesamt folgende Prozentwerte ermittelt:

Jugendvertretung im Gesamtvorstand (41,4%), Wahl der Jugendvertretung durch Jugendliche (29,6%), Wahl eines Jugendlichen als Jugendsprecher (23,1%), Stimmrecht der Jugendlichen in der Hauptversammlung (29,0%), eigener Jugendvorstand bzw. Jugendausschuss (16,7%), Wahl der Jugendvertretung auf Abteilungsebene (9,5%), keine dieser Ämter bzw. Beteiligungs-möglichkeiten (27,9%). Die Autoren der Studie sehen auch hier einen „erheblichen Nachholbedarf für Vereine in Deutschland“ und weisen darauf hin, dass durch fehlende Beteiligungsmöglichkeiten der Jugendlichen „die Möglichkeit der Artikulation ihrer Probleme, Vorstellungen und Verbesserungsvorschläge erheblich eingeschränkt wird“.

In den Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Jugend gibt es erstaunlicherweise regional ganz erhebliche Unterschiede. So reicht der Anteil der Sportvereine mit einem Jugendvertreter im Vorstand von nur 24,7% (Brandenburg) bis immerhin 58,7% (Schleswig-Holstein). Auch bezüglich der Wahl von Jugendsprechern durch die Jugendlichen stellen die Sportvereine dieser beiden Landessportbünde, mit 11,3% (Brandenburg) bis zu 51,7% (Schleswig-Holstein) die Extremwerte dar. Im Ländervergleich verfügen in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg die meisten Vereine über Beteiligungsmöglichkeiten und Ämter für Jugendliche. Lediglich bei 17,5% (Schleswig-Holstein) und 18,8 % (Baden-Württemberg) der Vereine gibt es solche nicht; bei Berlin (38,6%), Brandenburg (38,2%) und dem Saarland (38,0%) besteht noch der größte Nachholbedarf in dieser Frage.

Ein besonderer Abschnitt in diesem Kapitel ist dem Thema „Kinder und Jugendliche als Bestandteil der Vereinsphilosophie“ gewidmet. Darin kommen die Verfasser der Untersuchung zu dem Ergebnis, „dass über die Hälfte der Vereine (57,4%) sich sehr stark in der Jugendarbeit engagiert und immerhin 41,9% der Vereine ihre Aufgabe u. a. darin sehen, Jugendliche von der Straße zu holen. Lediglich 15,1% der Vereine befürworten ein starkes Engagement in der leistungssportlichen Talentförderung, wohingegen ungefähr doppelt so viele Vereine (31%) dies ablehnen. Somit scheinen viele Sportvereine sich bewusst gegen ein verstärktes Engagement im Bereich des Leistungssports zu entscheiden.

In diesem Zusammenhang gilt es zu ergründen, aus welchen Gründen ein starkes leistungs-sportliches Engagement bewusst abgelehnt wird bzw. ob finanzielle Gründe hier im Vordergrund stehen. Im Vergleich dazu lehnen nur 5,4% der Vereine ein verstärktes Engage-ment in der Jugendarbeit ab, und 9,7% der Vereine sehen ihre Aufgabe nicht darin, Jugendliche von der Straße zu holen.

Eine länderspezifische Betrachtung zeigt im Hinblick auf die Vereinsphilosophie deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern auf. Der Anteil der Sportvereine, die einem Engagement in der Jugendarbeit voll zustimmen, liegt zwar in fast allen Bundesländern über 50%, jedoch unterscheidet sich der Anteil der ablehnenden Vereine erheblich. In Sachsen-Anhalt lehnt fast ein Viertel der Vereine (22,5%) ein starkes Engagement in der Jugendarbeit ab. In Berlin (13,5%) und Nordrhein-Westfalen (9,7%) liegt der Anteil der ablehnenden Vereine ebenfalls noch deutlich über dem Bundesmittel. Im Gegensatz dazu lehnt keiner der Bremer Sportvereine ein Engagement in der Jugendarbeit ab (0%).

Interessant ist der Aspekt der Vereinsphilosophie unter dem Stichwort „Unser Verein interessiert sich sehr stark in der leistungssportlichen Talentförderung“. In allen Bundesländern gibt es mehr Vereine, die diesen Aspekt mehr ablehnen als ihm völlig zustimmen, nur in Sachsen-Anhalt hält sich der Anteil mit je 19,4% die Waage. Die höchsten zustimmenden Anteile haben mit Mecklenburg-Vorpommern (23,0%). Sachsen (20,8%)und Sachsen-Anhalt (19,4%) drei ostdeutsche Landessportbünde, die geringsten dagegen mit Rheinland-Pfalz (11,4%) Saarland (12,3%) und Nordrhein-Westfalen (12,7%) drei westdeutsche Landessportbünde - auch das ein Ergebnis, das zum Nachdenken anregt.

Die Untersuchung über die Anzahl von Kindern und Jugendlichen pro Sportverein ergibt - nach den Bundesländern - ebenfalls erstaunenswerte Unterschiede. „Hamburg, Schleswig-Holstein und Bremen, gefolgt von Niedersachsen und Baden-Württemberg kristallisieren sich als die Landessportbünde mit der höchsten Anzahl von Kindern und Jugendlichen pro Verein in allen drei Altersklassen heraus.“ Im Gegensatz dazu gibt es in Thüringen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt“ - so die Verfasser - „die wenigsten Kinder und Jugendlichen pro Sportverein“.

Ob als mögliche Ursache dafür allein „der demographische Wandel in Form von Geburten-rückgang und Migration“ genannt werden kann, bedarf sicher weiterer Untersuchungen, zumal die Studie auch zu dem Ergebnis kommt, dass „insbesondere in den fünf ostdeutschen Bundesländern und im Saarland mindestens die Hälfte aller Sportvereine weniger als 30 Kinder und Jugendliche in den Reihen ihrer Mitglieder hat. Im Gegensatz dazu gibt es in Baden-Württemberg und Niedersachsen verhältnismäßig viele Kinder und Jugendliche pro Sportverein“.

Die Auswertung der Untersuchung nach den einzelnen Themenfeldern und Fragestellungen ergab u. a., dass „die örtliche Konkurrenz durch kommerzielle Anbieter sowie die Anzahl an Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften ein größeres Problem für die Vereine darstellt, die sich stark in der Jugendarbeit engagieren und die ihre Aufgabe auch darin sehen, Jugendliche von der Straße zu holen. Bezüglich des letztgenannten Problems würde ein Abbau der Büro-kratie den Vereinen sicherlich weiterhelfen“, schlussfolgern die Autoren, denen „die demo-graphische Entwicklung in der Region eher ein geringeres Problem für kinder- und jugend-sportorientierte Vereine zu sein scheint“.

Abschließend betonen Breuer/Wicker ausdrücklich, dass kinder-und jugendsportorientierte Vereine in einigen Bereichen - wie z. B. der Sportstättennutzung und der Kosten des Wettkampf- und Übungsbetriebs - signifikant größere Probleme als andere Vereine haben. Aus diesem Grund würden diesen Vereinen spezielle Unterstützungsleistungen in diesen Bereichen sehr weiterhelfen, um sicherzustellen, dass diese Vereine ihr Engagement im Kinder-und Jugend-bereich weiterhin fortsetzen können.