Stichwort: Gender Mainstreaming

Fünf Fragen an Ilse Ridder-Melchers, Vorsitzende des Bundesausschusses Frauen im Sport des Deutschen Sportbundes

 

„Wer meint, dass Sport kein Geschlecht hätte,

irrt!“

DSB PRESSE: In letzter Zeit taucht in der Gremienarbeit des organisierten Sports immer wieder der Begriff Gender Mainstreaming auf. Wer oder was ist damit eigentlich gemeint?

RIDDER-MELCHERS: Gender Mainstreaming ist die zweite Seite der Medaille „Gleichstellung“: Bislang wollten wir das Ziel der Gleichstellung durch eine gezielte Förderung von Frauen erreichen. Wir haben festgestellt, dass das zu kurz greift. Wir müssen unsere Strukturen, unsere Planungen und Aufgaben im Sport sorgfältig prüfen, ob und wie wir die Interessen von Frauen und Männern wirklich gleichermaßen berücksichtigen und beiden Geschlechtern die gleichen Chancen einräumen. Wer meint, dass der Sport kein Geschlecht hätte, irrt.

DSB PRESSE: Der DSB hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Vorschläge für die Umsetzung des Gender Mainstreaming im DSB erarbeiten soll. Haben wir im Sport nicht zur Zeit ganz andere Aufgaben und Probleme zu bewältigen?

RIDDER-MELCHERS: Gerade weil wir im Sport vor großen Herausforderungen stehen, sollten wir bei der Lösung dieser Aufgaben die Strategie des Gender Mainstreaming anwenden. Wir wollen alle keine unnötige Mehrarbeit, sondern wir wollen Probleme sorgfältiger und umfassender analysieren und die Lösungen zukunftstauglicher machen. Genau diese Chance bietet Gender Mainstreaming.
Zwei Beispiele:

1) Wenn es um wirkungsvolle Mitgliederwerbung und –bindung geht, dann müssen wir doch sehr genau die Interessen und Wünsche von Mädchen und Jungen, von Frauen und Männern, von Jungen und Alten, von Migrantinnen und Migranten kennen, um sie gezielt anzusprechen zu können.

2) Wenn wir mehr Menschen für das Ehrenamt im Sport und für Führungsaufgaben gewinnen wollen, müssen wir doch künftig gerade das große Potenzial der Frauen in den Blick nehmen und uns fragen, wie wir diese qualifizierte Gruppe besser erreichen und einbinden können.
Also: Gender Mainstreaming im Interesse des Sportes!

DSB PRESSE: Zielsetzung der Arbeit des DSB ist es, Dienstleistungen für die Mietgliedsorganisationen zu erbringen. In welcher Form können die Vereine und Verbände davon profitieren?

RIDDER-MELCHERS: Wir wollen zunächst beim DSB mit Pilotprojekten eigene Erfahrungen sammeln, Fortbildungskonzepte entwickeln und langfristig die gesamte Organisation für eine geschlechtsspezifische Sichtweise sensibilisieren.

Außerdem möchten wir sehr schnell mit interessierten Verbänden in einen Erfahrungsaustausch treten, Workshops durchführen und gemeinsame Projekte und Maßnahmen verabreden. Miteinander und voneinander lernen ist unser Ziel. Das Motto heißt: Sehr viel Praxis, keine graue Theorie.

DSB PRESSE: Gibt es schon Verbände, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, und gibt es da schon erste Erfahrungen?

RIDDER-MELCHERS: Wir haben im April eine kleine Umfrage bei den Mitgliedsorganisationen durchgeführt und sind in unserem Eindruck bestätigt worden, dass uns ein paar Verbände im Umsetzungsprozess schon vorausgeeilt sind. Von deren Erfahrungen möchten wir lernen. Außerdem gibt es eine große Zahl von Verbänden, die sich ebenso im Stadium der Planung befinden. Mit diesen Verbänden wollen wir zusammenarbeiten und die restlichen Zweifler überzeugen, sich der Entwicklung anzuschließen.

DSB PRESSE: Werden damit Frauenvertreterinnen im Sport nicht `arbeitslos` und Förderpläne und die gesamte Frauenförderung des DSB in Zukunft nicht überflüssig?

RIDDER-MELCHERS: Nein, ganz und gar nicht. Wir brauchen die Doppelstrategie. Die UN hat unlängst nämlich berechnet, dass wir erst im Jahr 2490 Gleichberechtigung in den Führungsetagen erreicht haben werden, wenn wir im bisherigen Tempo weitermachen. Damit wollen wir uns im Sport nicht zufrieden geben. Vielmehr muss die größte deutsche Bürger- und Bürgerinnen-Bewegung hier Vorbild sein und zeigen, wie wir der Geschlechtergleichstellung mit und durch Sport zum Durchbruch verhelfen.

Beschlüsse auf dem Papier reichen nicht, konkrete Taten sind gefragt. Gender Mainstreaming beschließen und alle maßgeblichen Gremien der deutschen Bewerbung für Olympia fast ausschließlich mit Männern zu besetzen, wie es unlängst das NOK gemacht hat, ist da wenig zielführend. Daher werden wir uns auf unserer Frauenvollversammlung Anfang Oktober in Leipzig unter dem Motto „Olympische Spiele – Fair Play durch Gender Mainstreaming“ auch mit diesen Fragen beschäftigen, Vorschläge erarbeiten und Forderungen entwickeln.