Tischtennis: China als Partner in der Entwicklungshilfe

Am Rande der Tischtennis-WM in Paris sprachen die Trainer der beiden großen Tischtennisnationen Deutschland und China, Jörg Roßkopf und Liu Guoliang, über die Zukunft.

Timo Boll im Duell mit dem aktuellen Weltmeister aus China, Zhang Jike. Foto: picture-alliance
Timo Boll im Duell mit dem aktuellen Weltmeister aus China, Zhang Jike. Foto: picture-alliance

Der Herren-Bundestrainer und Chinas General-Cheftrainer, der im Reich der Mitte inzwischen den Damen- und Herren-Bereich verantwortet, kennen sich aus der gemeinsamen Vergangenheit als Topspieler und Konkurrenten. „Wir haben einen guten Austausch. Er ist jemand, der über den Tellerrand guckt“, sagt Roßkopf. „Er hat früher in Deutschland gespielt, Kong Linghui (der aktuelle chinesische Damen-Cheftrainer) in Schweden. Sie haben dabei auch von uns Europäern gelernt, Kreativität und Spin-Variationen zum Beispiel.“

Darum geht es jetzt wieder, ums Lernen voneinander. Europa und eigentlich auch der Rest der Welt haben Nachholbedarf gegenüber der das schnellste Rückschlagspiel der Welt dominierenden Nation. Vor zehn Jahren wurde mit dem Österreicher Werner Schlager der letzte nicht-chinesische Mann Weltmeister in Paris-Bercy. Bei den Frauen liegt der Titelgewinn sogar 20 Jahre zurück. Er ging 1993 an die Südkoreanerin Hyun Jung Hwa. Bei Olympischen Spielen seit 2008 sammelt China so viele Titel und Platzierungen ein, wie es Teilnehmer stellt. Die eigenen Spieler sehen die heimischen Zuschauer gerne siegen. Im Reich der Mitte ist Tischtennis weiterhin die traditionelle Sportart Nummer eins, ein bisschen spannender werden dürfe es nach dem Geschmack der Fans aber trotzdem.

Liu: „Alle hoffen, dass die Idee eines gemeinsamen Trainingslagers in China realisiert werden kann“

Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov sind die größten weltweiten Bedrohungen der Titelsammler, beide sind als solche in der Chinese Super League in diesem Sommer zu Gast, genießen großen Respekt bei Spielern und hohes Ansehen bei den Fans. Für Boll ist es die vierte Einladung in die nationale Liga, für Ovtcharov, den Olympia-Bronzemedaillengewinner von London, die erste. Andere Ausländer, Hongkong-Chinesen nicht eingerechnet, waren ebenfalls schon dabei. Japans Nummer eins, Jun Mizutani, Südkoreas Abwehrass Joo Saehyuk zum Beispiel und im vergangenen Jahr auch der schwedische Altmeister Jörgen Persson auf seiner Abschiedstournee. Die Front der fähigen Gegner des Reichs der Mitte soll noch breiter werden. Und dafür bedarf es vor allem gemeinsamer Trainingsmaßnahmen.

„Ich habe mit Deutschland gesprochen, mit Jörg Roßkopf und Timo Boll, mit Jean-Philippe Gatien für die Franzosen und mit den Südkoreanern und Russen“, sagte Liu Guoliang gegenüber chinesischen Medien. „Alle haben sehr positiv reagiert und hoffen, dass die Idee eines gemeinsamen Trainingslagers in China realisiert werden kann.“

Kooperation in der Spitze, beim Nachwuchs und bei der Trainerausbildung

Die geplante Zusammenarbeit mit Deutschland betrifft den Spitzenbereich, die Nachwuchsarbeit und den intensiven Austausch der Trainer. „Wir sind sehr interessiert und begrüßen, dass die Chinesen die Kooperation mit den besten europäischen Nationen intensivieren wollen“, kommentiert Dirk Schimmelpfennig, Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bundes. „Das hilft allen Beteiligten und dem Tischtennissport als solchem. Wir werden bei weiteren Gesprächen sehen, wo sich die Vorstellungen der Chinesen und unsere eigenen decken.“ Die Voraussetzung: Gemeinsame Maßnahmen müssten in die Förderprogramme und die Jahresplanung passen - in die der Chinesen und in die der Deutschen.

Mit den konkreten Planungen für den Spitzenbereich sind Bundestrainer Jörg Roßkopf und sein Assistent, Bundesstützpunkttrainer Zhu Xiaoyong, betraut. Als ehemaliger chinesischer Nationalspieler verfügt Zhu immer noch über sehr gute Kontakte in seine alte Heimat. Auch sprachlich macht sein Mitwirken es einfacher. „Wir werden mit den Chinesen unsere Pläne übereinander legen und schauen, wo es gemeinsame Termine gibt“, beschreibt Jörg Roßkopf den nächsten Schritt. Sein Wunsch sind starke chinesische Trainingspartner in Deutschland und Auslandsaufenthalte seiner Kader-Athleten beim Team China. „Wenn uns die Chinesen junge, hungrige Spieler für gemeinsame Trainingsmaßnahmen schicken oder wir zusammen mit ihnen in China trainieren könnten, wäre das für beide Seiten eine Win-win-Situation.“

Aufbau einer europäischen Chinese Table Tennis Academy

Neben aktuellen Topspielern soll es um die Ausbildung des Nachwuchses und qualifizierter Trainer gehen. „Im Tischtennis dauert der Aufbau Jahre“, erläutert Jie Schöpp, die als gebürtige Chinesin und ehemalige 117-fache Nationalspielerin für Deutschland beide Systeme bestens kennt. Vor ihrem Dienstantritt als Damen-Bundestrainerin war sie Internatstrainerin am Deutschen Tischtennis-Zentrum und Landestrainerin im Rheinland. „Die Voraussetzungen in China und Deutschland sind schon bei den Kindern anders.“ In China trainierten die Kleinen schon sechs Stunden am Tag, haben es in der Schule leichter oder besuchten diese erst gar nicht. „Unsere Kinder müssen sechs Stunden jeden Tag zur Schule gehen, bevor sie ans Training denken können. Da fängt es schon an, und dieser Vorsprung ist schwer aufzuholen.“

Diesen kulturell bedingten Rückstand Europas kann man kaum komplett decken. Doch vielleicht lässt sich die früh klaffende Lücke im Nachwuchsalter etwas weiter schließen. Eine chinesische Delegation, unter anderem mit dem ehemaligen Damen-Cheftrainer und neu gewählten ITTF-Vizepräsidenten Shi Zhihao und Olympiasiegerin Zhang Yining, hat sich in den vergangenen Tagen die Trainingszentren in München und Heidelberg angesehen sowie Kontakt zu den dortigen Universitäten aufgenommen wegen der Möglichkeit einer akademischen Tischtennistrainer-Ausbildung. Gesucht wird ein Standort für die „European Chinese Table Tennis Academy“ als Ableger des „Chinese Table Tennis College“ in Schanghai. In Europa sollen Seminare und Lehrgänge für Nachwuchsspieler sowie Trainer aus China und dem Alten Kontinent abgehalten werden. „Sinnvolle, gemeinsame Maßnahmen im Spitzenbereich würden unsere Zusammenarbeit komplettieren“, sagt Dirk Schimmelpfennig. Als weitere Orte stehen Paris mit dem INSEP als nationales Leistungszentrum der Franzosen und Sheffield, als Hauptstützpunkt der Engländer, zur Wahl. Den Zuschlag für einen der vier Kandidatenstädte soll es voraussichtlich noch in diesem Jahr geben.

„China möchte mit dem Tischtennissport das nächste Level erreichen und würde dabei von einem breiteren Konkurrenzkampf mit Europa profitieren“, weiß Jörg Roßkopf. Die Konkurrenz soll möglichst bald belebt werden.

(Quelle: Deutscher Tischtennis-Bund)


  • Timo Boll im Duell mit dem aktuellen Weltmeister aus China, Zhang Jike. Foto: picture-alliance
    Timo Boll im Duell mit dem aktuellen Weltmeister aus China, Zhang Jike. Foto: picture-alliance