Das ist nicht wenig: Die Bundesregierung hat mit Zustimmung des Parlaments Ende 2017 immerhin 37 Millionen Euro für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft in den Haushalt gestellt. Damit diese respektable Summe nicht in Beliebigkeit und Fläche verstreut wird, ist ein forschendes „Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ gegründet worden, das nunmehr ein Verbund von elf Standorten bildet. Die vom Ministerium für Bildung und Forschung verantwortete Initiative ist offenbar durch Pegida-Aufmärsche und die lautstarke wie sinnfreie Übersetzung von „Volksvertreter“ in „Volksverräter“ bedacht worden. Doch mit dem Institut ist mehr als lokales Auseinanderdriften aufzuhalten, es geht ums Ganze.
„Anlass sind Bevölkerungsgruppen, die das bestehende politische System nicht mehr unterstützen, die sich an den Rand gedrängt fühlen, bzw. zur parlamentarischen Demokratie und ihren Repräsentanten auf Distanz gehen. Die Zweifel an den Grundlagen von Staat und Gesellschaft erfordern eine umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Strukturen und Wahrnehmungen gesellschaftlicher Zugehörigkeit.“ Auch das gilt in diesen Tagen: Zugehörigkeit ist nicht nur in Deutschland eine Herausforderung. Es betrifft auch Europa.
Ein Blick auf die Europäische Gemeinschaft zeigt Verwerfungen und Zentrifugalkräfte, die sich von der Idee einer europäischen Einheit entfernen. Die vom berühmten Soziologen Emile Durkheim vor über hundert Jahren nominierte Religion als kultureller Kitt der damaligen Gesellschaft hat sich in der globalisierten Welt mit ihren vielen Migrations- und Säkularisierungsprozessen bis zur Vielgestaltigkeit verflüchtigt. Beansprucht wird von einen die diffuse Innensicht von regionalen Gemeinschaften („Wir sind das Volk!“), von lange europafernen Populisten das neu entdeckte „Europa eigenständiger Nationen“.
Nicht mehr erkennbar ist dort der u.a. vom Philosophen Jürgen Habermas oft beschworene „Verfassungspatriotismus“ – immerhin Grundlage für fast 75 Jahre Frieden in Europa. Umso wichtiger ist das in dieser Woche gefeierte Grundgesetz mit seinen zahlreichen Freiheitsrechten – weit vorne mit Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. Das wird nicht überall verstanden, Worte allein schaffen keinen überzeugenden Zusammenhalt. Wahlen können dazu beitragen, darum geht es am kommenden Wochenende.
Wer aber schafft in der Wirklichkeit heute Zusammenhalt? Das Ministerium formuliert als Forschungsauftrag: „Austausch und Aufbau von Kooperationsbeziehungen mit der Zivilgesellschaft und der politisch-administrativen Praxis.“ Da kommt etwas in Bewegung. Die größte zivilgesellschaftliche Organisation hierzulande ist der organisierte Sport mit seinem Dachverband DOSB, Landessportbünden und Fachverbänden.
27 Millionen gleichberechtigte Mitgliedschaften in mehr als 90.000 demokratischen Vereinen sind beeindruckende Zahlen. Darunter sind alle Altersgruppen, Geschlechter, Religionen, Ethnien, Verdienste, Berufe, Hautpigmente. Und in der Kooperation mit der politisch-administrativen Praxis haben Vereine über 200 Jahre sehr vielfältige Erfahrungen gesammelt, selbstorganisierte Konzepte und Modelle entwickelt, Menschen in ihrem Alltag erreicht und zu ihrem Selbstbewusstsein beigetragen. Das alles schafft Zusammenhalt.
Authentisch erleben kann man das täglich in multikulturellen Ballmannschaften, bei zugewanderten Fahrradfrauengruppen, im Inklusionssport von Menschen mit geistiger Behinderung, in den Kinderspielhallen von Vereinen, bei internationalen Begegnungen in fair gestalteten Wettkämpfen unter einheitlichen Regeln, in vereinseigenen Fitnessstudios oder multilingualen Tanzgruppen. Die Welt des Sports ist unbegrenzt europäisch wie interkontinental.
Gerade in diesen Tagen sind die spektakulären Finals in den kontinentalen Fußballwettbewerben Ereignisse, die zig Millionen Menschen gemeinsam bewegen. Von Spielern aus aller Welt. Nirgends manifestiert sich das ganze Europa so selbstverständlich wie bei seinen Festen des Sports. Europameisterschaften in vielen Sportarten, europäische Jugendspiele, europäische Olympische Akademien, die Europäische Sportkonferenz, eine europäische Akademie des Sports u. v. m. bestätigen das.
Das ist nicht immer heile Welt. Vielleicht wird es bei den Endspielen Zuschauerausschreitungen geben. In anderen Wettkämpfen mag gedopt werden. Grenzüberschreitender Wettbetrug ist nirgends völlig auszuschließen. Doch gibt es auch die Gegenseite. Das ist die Wirklichkeit der Vereine. Sie sind von ihrer Konstitution her Ort der Gleichheit, der Selbstbestimmung, der freien Entfaltung, des Respekts vor Meinung und Kultur anderer und so die Möglichkeit des Verstehens und friedlicher Konfliktbewältigung.
Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hat das die zivilisierende Wirkung des Sports genannt und damit vor allem den Zusammenhalt in einer demokratischen Gesellschaft gemeint. Damit gibt er eine Antwort auf die Frage des FAZ-Feuilletonisten: „Doch wie denjenigen streitend integrieren, der den rationalen Diskurs mit dem ‚Feind‛ von vornherein verweigert, weil er an einen Gottesstaat, ein völkisches Reich oder die legitime Gewalt der Antifa glaubt? Es ist eben der gesellschaftliche Zusammenhalt – oder bescheidener: der demokratische Minimalkonsens –, der eine zivilisierende Einhegung des Streits überhaupt erst ermöglicht, nicht umgekehrt.“ Das ist der Alltag der Vereine.
Bei den elf Standorten des Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist noch nicht zu erkennen, ob sie den organisierten Sport in ihren Forschungsdesigns aufgenommen haben. Eine Sportwissenschaft – hat diese akademische Zunft die Einladung zur Bewerbung für das Institut übersehen? – ist unter den rund 50 Forschenden nicht zu entdecken. Es sei denn, man zählt Professor Uwe Schimank aus Bremen dazu, der in den 90er Jahren vielbeachtete Analysen zum modernen Sport vorlegte. Heute forscht er am Zentrum für soziale Politik in Bremen. Der sportwissenschaftliche Studiengang an der Universität Bremen wurde kürzlich nach fast 50 Jahren und vielen fachlich-politischen Auseinandersetzungen geschlossen. Nicht nur in Europa, auch in Bremen wird am 26. Mai gewählt. Der Sport spielt kontinental wie lokal mit.
(Autor: Prof. Hans-Jürgen Schulke)
In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.