Vom Weltmeister des Sportstättenbaus zum Krisenmanager des Bestands

Die Katastrophe von Bad Reichenhall hat deutlich gemacht: Das Hauptproblem bei der Sportstättenentwicklung ist derzeit ein beängstigender und weiter steigender Sanierungsbedarf.

Dies gefährdet die Funktionsfähigkeit und Attraktivität des Anlagenbestandes und wird damit immer mehr zu einem Engpassfaktor der Sportentwicklung, sei es in Vereinen, Schulen, Hochschulen oder für sonstige Gruppierungen. Jetzt zeigt sich, dass der Titel „Weltmeister im Sportstättenbau", der der Bundesrepublik Deutschland während und nach der Laufzeit des „Goldenen Plans in den Gemeinden" von 1960-1975 übertragen worden war, nicht einkalkulierte Folgen hatte. Zu wenig Wert wurde auf die mit dem Anlagenbestand und seiner Alterung steigenden Folge- und Sanierungskosten gelegt, zu unpräzise und zu wenig zukunftsorientiert war häufig die Bedarfsbestimmung. Dies zeigt sich zur Zeit insbesondere bei den Hallenbädern aber auch bei 400-Meter-Rundlaufbahnen deutlich.

 

Die Altlasten des Goldenen Plans werden sichtbar

Der Befund ist nicht neu. „Nach überschlägigen Schätzungen von Experten sind bereits mehr als 30% der bestehenden Spiel- und Sportanlagen aus ökonomischen und funktionellen Gründen reif für eine Modernisierung und Ergänzung", so heißt es etwa im 1984 verabschiedeten „3. Memorandum zum Goldenen Plan" des Deutschen Sportbundes. 16 Jahre später wurde die erste einheitliche Sportstättenerhebung für neue und alte Bundesländer durchgeführt und 2002 veröffentlicht. Sie enthält auch Angaben zur Sanierungsbedürftigkeit. Aus den Antworten geht hervor, dass 70% der Anlagen in den neuen und 40% in den alten Ländern für sanierungsbedürftig gehalten werden.

 

 

Der Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall hat gezeigt, dass Sanierungsbedarf nicht nur veraltete und unattraktive Anlagen oder Funktionsmängel, sondern im Einzelfall auch tödliche Gefahr bedeutet. Betreiber maroder Sportanlagen setzen sich so einem unverantwortlichen Haftungsrisiko aus, für Menschenleben und für Millionenwerte.

 

 

70.000 Sportanlagen sanierungsbedürftig

Auch ohne solche Katastrophen sind jahrelang unterlassene Sanierung und Instandhaltung auch einer Wertevernichtung an gesellschaftlichem Eigentum gleich zu setzen. So lässt sich kein Geld sparen, denn wenn gravierende Schäden erst einmal entstehen konnten, wird es nachher immer teurer, bis hin zu Tragödien wie in Bad Reichenhall: Zur Sanierung dieser Halle ist es jetzt zu spät. Man kann nur, nein, man muss versuchen, ähnliche Fälle andernorts zu vermeiden. Um die Problemlage genauer zu beschreiben, hat der Deutsche Sportbund eine Abschätzung über die Höhe des gesamten Sanierungsbedarfs erstellt, die sich auf die Sportstättenstatistik 2000, Expertenaussagen und Berechnungen der zuständigen DSB-Abteilung stützt. Danach sind insgesamt ca. 70.000 Sportanlagen sanierungsbedürftig.

 

 

Dies bedeutet in finanziellen Kategorien:

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Der gesamt Sanierungsbedarf liegt bei ca. 42 Milliarden Euro.

Davon entfallen 34,5 Mrd. Euro auf die alten Länder, 6,4 Mrd. Euro auf die neuen Ländern und 1,6 Mrd. Euro auf die Stadtstaaten.

Der höchste Sanierungsbedarf besteht bei den Hallenbädern mit 11,7 Mrd. Euro.

Es folgen die Sporthallen (9,3 Mrd.), die Freibäder (5,4 Mrd.) und dann die Sportplätze einschließlich Rundlaufbahnen (5,8 Mrd.).

2,8 Mrd. Euro sind für die Sanierung von Schießanlagen, Tennishallen und -plätzen sowie Eishallen notwendig.

Für alle übrigen Anlagentypen (z. B. für Wassersport, Wintersport, Golf, Reiten, Flugplätze etc.) sind noch einmal 7,0 Mrd. Euro anzusetzen.

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Ein Sanierungsfall ist jedoch nicht nur ein lästiges Finanzierungsproblem, sondern bietet in der Regel auch große Chancen. Sinnvolle, zukunftsorientierte und nachhaltige Sanierungskonzepte können die Sportentwicklung positiv beeinflussen und mittelfristig sogar zu maßgeblichen Kostensenkungen führen.

 

Professionelle und unabhängige Sportstättenbauberatung ist das Mittel der Wahl

Die Sportstättenentwicklung der Zukunft wird sich weitgehend im Bestand vollziehen, Neubau wird die Ausnahme werden. Daher kommt den Sanierungsaufgaben ein Stellenwert zu, der weit über die baulich-technische Sanierung hinausgeht. Denn es gilt, die Eignung der Anlage für den Bedarf vieler Jahre sicherzustellen. Der größte Fehler, den man dabei machen kann, ist in der Regel der Versuch, den Zustand der Anlage bei ihrem Neubau wieder herzustellen, denn wir brauchen heute und in Zukunft meist andere Sportstätten als in den 60er und 70er Jahren.

 

 

Dringend anzuraten sind bei der Planung einer Sanierung vor allem folgende Maßnahmen:

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eine genaue Schadensanalyse;

hohe Gewichtung des Folgekostenkriteriums insbesondere für die Bereiche Energie und Wasser - dort sind außerordentlich hohe Einsparpotenziale vorhanden;

gründliche Abschätzung des Bedarfs und damit der künftigen Sportentwicklung;

Überprüfung der Standorteignung und gegebenenfalls ein Wechsel des Standorts;

Prüfung der Möglichkeiten zu Umbau oder Erweiterung, wenn dies der Bedarfsentwicklung entspricht;

Prüfung alternativer Betriebsformen und Vermarktungsansätze;

Berücksichtigung des gesamten Angebots in einem Einzugsbereich, Profilbildung und Schwerpunktsetzung für einzelne Anlagen;

Einbeziehung städtebaulicher Kriterien.

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Hier zeigt sich mit großer Deutlichkeit die überragende Bedeutung einer professionellen und unabhängigen Sportstättenbauberatung, ein leider noch immer außerordentlich problematisches Thema, das rasch angegangen werden sollte.

Dr. Hans Jägemann