„Warum haben die einen Boris Becker und wir nicht?“

Schon traditionell veranstaltet der Westfälische Tennis-Verband (WTV) vor seiner Mitgliederversammlung eine Podiumsdiskussion, die sich mit den aktuellen Themen des Tennissports beschäftigt.

Olympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth, Dieter Weymans (Rheinischer Turnerbund), Robert Hampe (Präsident Westfälischer Tennis-Verband), Jens Wöhrmann (Cheftrainer Westfälischer Tennis-Verband), Markus Weise (Bundestrainer Hockey-Nationalmannschaft Männer), Udo Riglewski (ehemals Davis Cup-Spieler) und Ex-Handball-Nationalspieler Volker Zerbe (TBV Lemgo) (v.l.). Foto: Westfälischer Tennis-Verband
Olympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth, Dieter Weymans (Rheinischer Turnerbund), Robert Hampe (Präsident Westfälischer Tennis-Verband), Jens Wöhrmann (Cheftrainer Westfälischer Tennis-Verband), Markus Weise (Bundestrainer Hockey-Nationalmannschaft Männer), Udo Riglewski (ehemals Davis Cup-Spieler) und Ex-Handball-Nationalspieler Volker Zerbe (TBV Lemgo) (v.l.). Foto: Westfälischer Tennis-Verband

In diesem Jahr beleuchtete am 28. Februar der viertgrößte deutsche Tennisverband das Thema "Talentsichtung und Talentförderung". Allerdings stand dabei nicht nur der Tennissport im Vordergrund. Im Fokus der inhaltlichen Auseinandersetzung wurden auch die Mannschaftssportarten Handball und Hockey sowie die Individualsportarten Kunstturnen und Leichtathletik mit der entsprechenden Prominenz erörtert.

Ulrike Nasse-Meyfarth (zweimalige Olympiasiegerin im Hochsprung), Markus Weise (Bundestrainer der Herren-Hockey-Nationalmannschaft), Dieter Weymans (Referent Olympischer Sport des Rheinischen Turnerbundes), Volker Zerbe (Manager des Handball-Bundesligisten TBV Lemgo), Udo Riglewski (ehemaliger Tennis-Weltklassespieler und Inhaber einer Tennisakademie) und Jens Wöhrmann (ehemaliger Tennis-Weltklassespieler und Cheftrainer des WTV) diskutierten vor rund 250 Zuschauern dieses Thema aus Ihrer Karriereanschauung.

Der frühere Weltklassespieler Udo Riglewski sieht die derzeitigen Probleme des deutschen Tennissports in der Struktur und im Training: „Bei uns herrscht ein heilloses Durcheinander. Jeder Verband arbeitet für sich. Das ist provinziell und amateurhaft“, so der ehemalige deutsche Davis Cup-Spieler, der die Leidenschaft vermisst, die ehemalige Sportgrößen an die Jugendlichen weitergeben könnten. „Eine Ausnahme ist sicherlich der Westfälische Tennis-Verband, die mit Jens Wöhrmann einen solchen Trainer haben, der dies seinen Schützlingen vermitteln kann, weil er es alles selbst erlebt hat“, lobte der 42-jährige Udo Riglewski den WTV, der vor allem die Versorgungsmentalität in den Verbänden kritisierte: „Die machen ihren Job, vormittags und nachmittags, und das war es dann. Doch das eigentliche Coaching, wie ich was in welchen Situationen spielen muss, können die meisten doch gar nicht erklären. Sie sind vielleicht bestens ausgebildet, aber das reicht nicht.“ Insofern wünscht sich Riglewski in der nationalen Trainerausbildung auch einen internationalen Austausch mit den erfolgreichen Trainingszentren in Frankreich oder Spanien. Auch Jens Wöhrmann sieht die Problematik ebenfalls in der Struktur. „In Frankreich gibt es das zentrale System. In Paris wird die Jugendarbeit betrieben“, erklärte der heute Cheftrainer des Verbandes in Kamen. „Unsere Aufgabe ist es, ein optimales Umfeld zu gewährleisten, damit die Jugendlichen eine Basis für ihre Profikarriere haben. Danach bedarf es Leidenschaft und Einsatzbereitschaft der Mädchen und Jungen“, ist sich Jens Wöhrmann sicher, dass der Verband die professionellen Karrieren anschieben kann: „Dann aber sind die Spieler selbst gefordert.“

Erfolg liegt in den Händern der Sportler

Dies sieht auch Ulrike Nasse-Meyfarth so: „Mit 16 Jahren ist mir der Olympiasieg in München praktisch in den Schoß gefallen. Das war völlig unerwartet. Umso schwieriger war es diesen Erfolg zu verarbeiten und zu bestätigen.“ Lange Zeit konnte die Hochspringerin nicht an diesen Triumph anknüpfen. Dementsprechend gab es vom Verband keine Unterstützung mehr. „Man muss selber positiv verrückt sein. Und das war ich. Meine Eltern standen hinter mir. Und so habe ich mein Ziel, mir einen solchen Erfolg noch einmal zu erarbeiten, auch geschafft“, weiß Ulrike Nasse-Meyfarth aus eigener Erfahrung, welcher Motivation es bedarf, sportlichen Erfolg zu haben. Ihr glückte zwölf Jahre nach München dann noch einmal der Olympiasieg 1984 in Atlanta.

So motiviert ist auch der deutsche Weltklasse-Turner Fabian Hambüchen. „Er hat sicher in seinen jungen Jahren von den Strukturen des Verbandes profitiert. Doch als man ihn dann auch in diese Verbandsstrukturen zwängen wollte, schlug er seinen eigenen, individuellen Weg ein. Und das ist auch richtig so“, erklärt Dieter Weymans, der vor Jahren Chefverbandstrainer im niederländischen Turnverband war und heute unter anderem als Referent für das Olympische Turnen (Kunstturnen, Trampolin, Rhythmische Sportgymnastik) beim Rheinischen Turnierbund tätig ist. Die deutschen Turner, die bei der letzten Olympiade in Peking Medaillen gewannen, waren in der Tat Individualisten. Wie Jens Wöhrmann sieht Dieter Weymans, dass in den Verbänden die Grundlagen für eine erfolgreiche Karriere gelegt wird. Danach liegt es in den Händen der Sportler.

Abhängigkeit von staatlichen Fördergeldern

Die Individualsportarten sind von den Mannschaftssportarten zu unterscheiden. Davon sind Markus Weise und Volker Zerbe überzeugt. Hockey spielt in der Öffentlichkeit nur während der Olympischen Spiele eine Rolle. Doch der Hockey-Bundestrainer sieht sich aber nicht allein: „In Deutschland gibt es nur Fußball und alles anderes sind Randsportarten. Und so ist man als Trainer in einer ganz miesen Situation. Man muss im Grunde schon einen Knall haben, sich für den Trainerberuf zu entscheiden. Es sei denn, du arbeitest in der 1. Fußball-Bundesliga.“ Da Hockey kein Profisport ist, ist er entsprechend abhängig von staatlichen Fördergeldern ist, ansonsten fließen keine Gelder mehr. „Wir sind zum Erfolg verdammt. Uns gelingt es, weil wir die Jugendlichen, die in den Jugend-Nationalmannschaften spielen systematisch über die U21- an die A-Nationalmannschaft heranführen“, erläutert Markus Weise die Vorgehensweise des Deutschen Hockey-Bundes. Mit den Frauen gewann er 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen die Goldmedaille und dies glückte ihm mit der Herren-Nationalmannschaft im vergangenen Jahr in Peking ebenfalls gelang.

Diese Probleme hat der Handballsport in Deutschland nicht. „Uns hat die WM 2007 im eigenen Land und der Gewinn des Titels einen enormen Schub gegeben. Der Erfolg war aber nur möglich, weil in den Jahren zuvor eine erfolgreiche Jugendarbeit betrieben wurde“, analysiert Ex-Nationalspieler Volker Zerbe und er ist der festen Überzeugung, dass man dem deutschen Nachwuchs auch in der stärksten Handballliga, also in Deutschland, eine Chance geben muss, um entsprechend weiter Erfolg zu haben.

Solche Chancen werden so mancher Turnerin verbaut. „Der Deutsche Turner-Bund hat entschieden, dass die 16jährigen Mädchen, die rhythmische Sportgymnastik betreiben, nicht an internationalen Wettkämpfen teilnehmen, weil sie in diesen Wettbewerben keine Chance haben. Da wird das Training der Mädchen ad absurdum geführt, ganz zu schweigen von der Demotivation, die eine solche Entscheidung nach sich zieht“, äußerte Dieter Weymans sein Unverständnis darüber, der in Wattenscheid als Bundesstützpunktleiter für diese Sportart zuständig ist.

Alle sind gefordert

Die Diskussionsteilnehmer waren sich am Ende einig. Um erfolgreich zu sein, müssen die Jugendlichen Talent, Ehrgeiz, Motivation und Disziplin mitbringen. „Die Eltern spielen darüber hinaus ebenfalls eine wichtige Rolle. Ohne ihre Unterstützung geht nichts“, ist sich die zweifache Hochsprung-Olympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth sicher. „Wir brauchen außerdem ehemalige Profispieler, die eine gute Trainerausbildung absolviert haben. Denn nur die können ihre wichtigen Erfahrungen und die notwendige Leidenschaft an die Jugendlichen weitergeben“, ist Udo Riglewski überzeugt. Ulrike Nasse-Meyfarth glaubt, dass die Verbände aber genau davor Angst haben: „Verbände brauchen Gesichter. Warum schaffen es die Verbände nicht, ehemalige Sportgrößen für sich zu gewinnen? Als Trainer sind diese Personen wichtig und auch als Repräsentanten.“ Verbände, ehemalige Sportgrößen, Eltern und die Jugendlichen selbst – alle sind gefordert.


  • Olympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth, Dieter Weymans (Rheinischer Turnerbund), Robert Hampe (Präsident Westfälischer Tennis-Verband), Jens Wöhrmann (Cheftrainer Westfälischer Tennis-Verband), Markus Weise (Bundestrainer Hockey-Nationalmannschaft Männer), Udo Riglewski (ehemals Davis Cup-Spieler) und Ex-Handball-Nationalspieler Volker Zerbe (TBV Lemgo) (v.l.). Foto: Westfälischer Tennis-Verband
    Olympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth, Dieter Weymans (Rheinischer Turnerbund), Robert Hampe (Präsident Westfälischer Tennis-Verband), Jens Wöhrmann (Cheftrainer Westfälischer Tennis-Verband), Markus Weise (Bundestrainer Hockey-Nationalmannschaft Männer), Udo Riglewski (ehemals Davis Cup-Spieler) und Ex-Handball-Nationalspieler Volker Zerbe (TBV Lemgo) (v.l.). Foto: Westfälischer Tennis-Verband