World Games 2013: Tanz aus dem Schatten

Cali erlebt die World Games 2013. Das Ereignis wird seltene Momente des Glanzes produzieren – für die nichtolympischen Spitzensportler wie für die Stadt.

Jährlich findet in Cali das Salsa-Festival statt. Foto: picture-alliance
Jährlich findet in Cali das Salsa-Festival statt. Foto: picture-alliance

Die kolumbianische Metropole hat zwar ihre düstere Vergangenheit hinter sich gelassen, aber Aufbruchstimmung spürt man einstweilen vor allem in der Salsaszene. Dort allerdings machen manche Kolumbianer Karrieren, von denen die meisten deutschen World-Games-Teilnehmer nicht zu träumen wagen.

Die Vergangenheit ist dunkel, so dunkel, dass man nicht hinschauen mag. Aber es hilft ja nichts, Andreas Irle macht das gleich klar. „Die Geschichten von früher stimmen“, erinnert der Rektor der Deutschen Schule an die „harten Zeiten“ in Südamerikas einst berüchtigtster Metropole. In den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stand das kolumbianische Cali-Kartell für Angst und Schrecken. Wegen des blutigen Drogenkrieges machte der Rest der Welt lange einen großen Bogen um das Land und um dessen zweitgrößte Stadt. Bei der Copa América 2001, der Südamerikameisterschaft im Fußball, weigerten sich die Bundesliga-Clubs Bayern München, Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen, ihre Stars freizugeben: „Wir wollen nicht, dass sie mit einer Kugel im Kopf zurückkommen“, begründete Bayern-Manager Uli Hoeneß seinerzeit das Reiseverbot für Giovane Elber und Paulo Sérgio, die mit der brasilianischen Nationalmannschaft in Cali auflaufen sollten.

Zum Glück: Es ist zwar dunkel, aber es ist Vergangenheit. Der Drogenkrieg ist vorbei, jedenfalls in Cali, die Chefs des Kartells sind entweder tot oder sitzen in den USA im Gefängnis. Ihre ehemalige Zentrale ist auf dem Weg, sich von den Schatten zu befreien. Der Sport, speziell die World Games 2013, soll helfen, der Welt ein neues Gesicht der tropisch-heißen Metropole zu zeigen. „Für Cali ist das eine große Chance. Die Stadt kann beweisen, dass sie weltoffen und freundlich geworden ist“, sagt Schulrektor Irle über die Spiele der nichtolympischen Sportarten.

Rhythmus statt Drogen

Bei ihm sind im Vorfeld alle Fäden zusammengelaufen, zumindest aus nationaler Sicht. Das großräumige Areal der Privatschule ist von der deutschen Mannschaft als Hauptquartier ausgewählt geworden. Auf 64.000 palmenumsäumten Quadratmetern stehen neben einem Freibad auch ärztliche Betreuung, Physiotherapie und ein ansehnlicher Fuhrpark zur Verfügung. Die Schule liegt im Süden der Stadt, eine der besten Gegenden Calis. „Wir werden alles versuchen, damit sich die deutsche Mannschaft hier wohlfühlen kann. Dazu gehören auch Grillabende mit Salsa-Musik für die Sportler, die ihre Wettbewerbe bereits hinter sich haben“, sagt Andreas Irle.

Cali hat sich selbst zur Hauptstadt des Salsa gekürt. Nicht zuletzt deswegen hat der Tanz seinen Weg ins Veranstaltungsprogramm gefunden. Die drei Salsa-Wettbewerbe werden die Veranstaltung möglicherweise prägen, wie es 2000 das Beachvolleyball-Turnier am Bondi Beach bei den Olympischen Spielen in Sydney tat. In den Armenvierteln Calis dröhnen die Salsa-Klänge aus den Lautsprechern, in Salsa-Schulen lernen die „Calenos“ die ersten Schritte, die manchmal auch der Beginn einer steilen Karriere sein können. Die Stadt hat zahlreiche Profi-Tänzer auf die Bühnen dieser Welt geschickt. Und die, die es nicht so weit gebracht haben, bevölkern die täglich geöffneten Klubs und Discotheken. Das moderne Cali steht für Musik statt Kokain.

Und auch das gibt es: ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis, jedenfalls im Umfeld der World Games. Es geht feminin zu in den eigens für die heiße Phase der Vorbereitung angemieteten Büros in einem Einkaufszentrum im Herzen der Stadt. CEO des Organisationskomitees ist Susana Correa, eine ehemalige Basketball-Nationalspielerin: „Wir leben im 21. Jahrhundert. Da sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass Frauen in Führungspositionen von sportlichen Großveranstaltungen Verantwortung übernehmen. Wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen.“ Das tun sie, deshalb sind viele Schlüsselpositionen im OK von ehemaligen Sportlerinnen besetzt, etwa von der fünfmaligen Speedskating-Weltmeisterin Angelica Maria Donneys, die als Marketing-Chefin zur Führungscrew gehört. Sie verspricht: „Wir werden uns von unserer besten Seite zeigen. Cali, das ist eine gastfreundliche und warmherzige Stadt.“

Das findet auch die „Washington Post“, die Cali als eines der touristischen Ziele mit dem größten Potenzial in Südamerika ausgemacht hat. Ein Lob allerdings, das die Vorbehalte nicht ganz überdecken kann. „Potenzial“, das heißt eben, es gibt Luft nach oben. Obwohl die Stadt in die Infrastruktur investiert hat, fehlen für ein Event wie die World Games Hotels und Unterkünfte. Und aus dem Büro von OK-Chefin Correa hat man die Bauarbeiten im weitläufigen Sportpark im Blick, die nur langsam fortschreiten. Wie von anderen Sportevents bekannt, lautet auch hier die bange Frage, ob wohl alles rechtzeitig fertig wird. Immerhin gibt es ein neues Nahverkehrssystem und ein bemerkenswertes Radwegenetz. Für Sportbegeisterte ist jeder Sonn- und Feiertag ein Pflichttermin: Hunderttausende nutzen vom Morgen bis zum Nachmittag die abgesperrten Hauptverkehrsstraßen der Innenstadt. Sie gehören dann Inline-Skatern, Joggern und Radfahrern, nicht den Autos.

Die Leiden von America

Kaum eine andere Geschichte steht so treffend für die Entwicklung der Stadt wie die des Fußballklubs América de Cali. Der populärste des Landes, vor allem in den Slums verehrt, gehörte zur Zeit der Kokainbarone zur Spitze des südamerikanischen Fußballs. Gleich mehrfach erreichten die „roten Teufel“ das Finale der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League (ohne sie je zu gewinnen). „Als die Drogenbarone ihr Geld aus dem Klub zurückzogen, begann der Abstieg bis in die zweite Liga“, sagt Carlos Vargos, Sportwissenschaftler aus Cali. „América musste von vorne beginnen.“ Das sportliche Tief war jedoch nur das eine Problem des Klubs. Er stand als einziger Verein der Welt auf der Liste der US-amerikanischen Drogenfahndung, weil die Geschäftsführung verdächtigt wurde, Kontakte zu inhaftierten Kartellbossen zu unterhalten. Seit dem Frühjahr dieses Jahres ist er von der Last und dem Verdacht der Geldwäsche befreit, die ihm jeglichen internationalen Geschäftsverkehr verboten. Nun wolle man den „schlafenden Giganten wieder zum Leben erwecken“, sagt América-Präsident Oreste Sangiovanni.

Vielleicht hilft dabei das Stadion Pascual Guerrero, das für die FIFA U20-WM runderneuert wurde. Vor zwei Jahren begeisterten sich die Fans (nicht nur in Cali) für die Spiele und sorgten für einen neuen WM-Zuschauerrekord in dieser Altersklasse. Es war die erste sportliche Großveranstaltung, die Kolumbien nach der durch Absagen geprägten Copa América 2001 durchgeführt hat. Ein Lichtblick. Nun hofft Cali, hofft das ganze Land auf Rückenwind durch die World Games 2013. Auch Andreas Irle drückt die Daumen.

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(Quelle: Faktor Sport/Tobias Käufer)


  • Jährlich findet in Cali das Salsa-Festival statt. Foto: picture-alliance
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